Ein Text von Gottfried Bammes
2022
Bammes fasst das zusammen, was ich als einen wesentlichen Aspekt des Künstler-seins erachte. Nämlich das Wissen und Beobachten, das Ansammeln von inneren Bildern und Zusammenhängen, die wesentlich sind um künstlerisch arbeiten zu können. Da sich, meiner Beobachtung nach, immer mehr Menschen künstlerisch betätigen, was ich grundsätzlich sehr gut finde, was aber zu einer Schwammigkeit des Künstlerbegriffes führt, möchte ich diesen Text als Verdeutlichung meiner eigenen Haltung nutzen.
Gottfried Bammes (1920-2007) war ein deutscher Künstler und Anatom, der viele Jahre als Professor für Künstleranatomie an der Hochschule für bildende Künste in Dresden lehrte. Er schrieb verschiedene Standardwerke der Künstleranatomie.
„VON KÜNSTLERISCHER ORIGINALITÄT UND GRUNDLAGENVERMITTLUNG“
„Die häufig angezweifelte Notwendigkeit der Erarbeitung von Sachkenntnissen im Bereich künstlerischer und kunstpädagogischer Erziehung und Ausbildung, der so entstehende Riß in der Einheit von Theorie und Praxis gehen nicht nur den Lehrer an. Beides wirkt sich vor allem dort aus, wo künstlerisch Lernende ihre Lehre noch nicht einordnen können in ein allzu verfrühtes Kunstmachenwollen. Die Lehre der Fundamente scheint ihnen gegenwärtig oder spätestens morgen im Wege zu stehen dem ernsthaften, aber auch selbstquälerischen Bemühen, das eigene künstlerische Ingenium uns sich selbst zu entdecken.
Für die intuitiven Prozesse fürchtet man eine Überlagerung durch ausgedehnte Wissensvermittlung und wähnt dadurch Imaginationskraft und Sehempfindungen, Phantasie und Inspiration bedroht. Solche Befürchtungen wurzeln nicht zuletzt in allzu einfachen Vorstellungen vom Wesen der Institution und ihrem Tätigwerden, die dem Scheine nach wie eine Art Urüberzeugung, gleichsam aus einem Nichts, da sei, sich quasi selbst gebäre in der Isolation der innersten künstlerisch-menschlichen Bezüge; und es komme vor allem darauf an, auf den großen Augenblick zu warten, da man von unerwarteten Eingebungen überfallen und fortgerissen werde. Richtig daran ist so viel: Die Resultate der Intuition geben sich zum Teil in plötzlichen Einsichten zu erkennen; Resultate sind es, die unangemeldet hereinbrechen vermögen, was auf ihre Vorgeschichte hindeutet. Denn vorausgegangen ist eine Introspektion, eine innere Besichtigung, Selbstbeobachtung, Selbstschau des Künstler. Vorausgegangen sind aber auch Fremdbeobachtungen, Beobachtungen von Dingen, Sachen, Sachverhalten, Menschen, Geschehnisse, die außerhalb des Individuums liegen. Ihr Erkenntnisgewinn besteht in unmittelbarer Informationsauswertung. Ausgewertet werden kann aber nur, was als Mitteilung, Aufklärung, Belehrung einmal verfügbar war, was einverleibt werden konnte. Beides, Selbstbeobachtung und Fremdbeobachtung, schöpft Rohstoff aus. Es ist „Sichten und Verdichten des Materiales, dessen sich die Einbildungskraft in Wissenschaft und Kunst bedient“ (Hollitscher). Majakowski hat als Dichter das in klarer Knappheit und Bildhaftigkeit ausgedrückt:
„Dichten ist dasselbe wie Radium gewinnen.
Arbeit = ein Jahr;
Ausbeute = ein Gramm.“
Das in Phantasie geborene dichterische Bild vermittelt lapidar und anschaulich die nüchterne allgemeine Tatsache, daß künstlerisches Tun schwere Arbeit ist. Im Bilde bleibend fährt Majakowski fort:
Man verbraucht,
um ein einziges Wort zu ersinnen,
Tausende Tonnen
Schutt oder Schlamm.
Doch neben dem Erz,
dem zerfallenden, fahlen
brennt
jenes Wort
ur-elemantar
es setzt in Bewegung
mit seinen Strahlen
Millionen Herzen
durch tausend Jahr.“
Die Eingebung, so will der Künstler machen, erwächst auf dem Substrat der Realität, von dem sie sich nährt. Um eines Tages mit dem durch Lernen und Lebenserfahrung angesammelten Gut ein Werk aufführen zu können, bedarf der Prozeß der Wirklichkeitsaneignung und Interpretation einer Phase, in der zunächst sich der Boden annehmend öffnet. Es ist, wie Hollitscher abmerkt, eine Vorbereitungsphase, der später die Schaffens- und Vollendungsphase folgen wird. Was sich im Innern des Künstlers anhäuft, wird in der Zeit der Reife einer kritischen Inspektion unterzogen. Was aber, wenn das zu Besichtigende dürftig, das Material einseitig oder mager wäre? Gibt der Künstler jedoch der in langen Prozessen der Inspiration wirkenden Welt- und Wirklichkeitseinatmung Raum, so wird das in einem ausgewählten Bewußtseinsprozeß als Eigentümlichkeit Verstandene unvermittelt mit fortreißen „anscheinend ohne Vorankündigung oder Vorbereitung“ (Hollitscher). Die Vorstellung von einer Urzeugung im künstlerischen Subjekt, von Eingebung und Einfall erweist sich als Phantasma. Es ist Phantasterei, die überraschende Intuition als anstrengungslos empfangene „Gabe“ zu betrachten. Bevor das „eine Gramm Radium“ gewonnen ist, muß man unermüdlich ein reiches Gut gesichtet haben.“
(Gottfried Bammes, „Sehen und Verstehen, Die menschlichen Formen in didaktischen Zeichnungen“, Volk und Wissen Volkseigener Verlag Berlin 1985, 1. Auflage, Seite 15 ff)