Warum ich plastisch arbeite

Februar 2023

Am Anfang steht die Idee. Sie kommt oft einfach. Ich sehe etwas und bekomme eine Inspiration.

Aus ihr entwickeln sich sehr schnell viele Bilder in meinem Kopf. Dann möchte ich die Plastik sehen und anfassen. Ich möchte sie haben!

Am liebsten würde ich sofort mit dem Modellieren loslegen. Zuerst aber muß noch ein Unterbau her. Das ist z. B. ein Gerüst aus einem senkrechten Stück Holz, das auf einer Holzplatte befestigt ist, um das in mehreren Schichten Packpackpapier mit Kreppband befestigt wird, das schon in etwa die Form des Kopfes abbildet. Ich brauche sie, damit der Ton nicht zusammenfällt.

Der Unterbau muß kleiner sein als die endgültige Figur. Die Tonschicht aber muß eine gewisse Dicke haben, weil ich mir die Freiheit lassen will, ungeplanten Eingebungen in die Tiefe der Plastik zu folgen.

Wenn ich vorher eine Zeichnung mache, geht für mich irgendwie der Reiz des spontanen Entwickelns verloren. Manchmal mache ich Detailszeichnungen, wenn mir eine Stelle nicht klar ist. Lebendig bleibt oder wird die Plastik aber durch die intuitive Arbeit meiner Hände. Am meisten freue ich mich dabei auf das Gesicht. Bei meinen aktuellen Projekten aber auch auf die Haargestaltung. Eine Locke oder Strähne an einer bestimmten Stelle anzulegen und zu wissen, dass sie genauso bleibt, ist sehr befriedigend.

In meiner Arbeit als Maskenbildnerin kann ich diesem Wunsch, etwas für die Ewigkeit zu drapieren, leider nicht nachkommen weil der Darsteller durch sein Spiel und die Bewegung meine Arbeit verändert oder sogar zerstört. Eine Perücke, die ich aufwändig frisiert habe, rubbelt sich hinten am Kragen einen Fitz und löst meine Form dadurch auf.

Offenbar bin ich eben mehr Plastikerin als Maskenbildnerin.

Dieses Gefühl, den kühlen, weichen Ton zu fühlen und synchron mit beiden Händen das Gesicht zu formen, es nach Unregelmäßigkeiten abzutasten und sie auszugleichen, ist das Gefühl eines Schöpfers.

Immer wieder komme ich an die Stelle, an der ich die Augen der Plastik offen anlege und sie mir nicht gefallen. Dann schließe ich sie bis zum Schluß wieder. Die Plastik wirkt dann wie im Schlaf, als würde sie träumen während sie Gestalt annimmt. Erst, wenn alles Andere stimmt, öffne ich ihr die Augen und es passiert etwas Unglaubliches: Die Plastik sieht, sie erwacht! Die gesamte Figur und ihre Ausstrahlung verändern sich.

Mir fällt das nicht leicht, denn auch die geschlossenen Augen sind schön! Trotzdem muß ich mich für eine Variante entscheiden.

Ein ständiges Abwägen begleitet die gesamte plastische Arbeit. Welche Form soll die Nase haben, der Mund, die Ohren, das Kinn, die Stirn? Unendlich viele Möglichkeiten!

Es tut mir immer um die Formen leid, die ich gerade nicht nutze.

Nun könnte man ja sagen: Mach doch einfach mal 20 Nasen. Aber eine Nase herausgenommen aus dem Kontext des Gesichtes, ist nicht das Selbe. Es ist dieses Zusammenspiel von so vielen kleinen Details, das den Zauber eine Gesichtes ausmacht, die Harmonie oder auch die Disharmonie.

Und dann: Das Spiel von Licht und Schatten, das durch die plastischen Formen und den Einfall von Licht entsteht.

Wenn man um die Plastik herum läuft, ist sie schon im statischen Zustand beeindruckend. Wenn man sie jedoch drehen kann und die Lichtquelle am gleichen Ort bleibt, ist der Effekt noch stärker. Die Plastik wirkt lebendig. Vielleicht in einer vorhersehbaren Weise aber dennoch.

Ein Text von Gottfried Bammes.

2022

Bammes fasst das zusammen, was ich als einen wesentlichen Aspekt des Künstler-seins erachte. Nämlich das Wissen und Beobachten, das Ansammeln von inneren Bildern und Zusammenhängen, die wesentlich sind um künstlerisch arbeiten zu können. Da sich, meiner Beobachtung nach, immer mehr Menschen künstlerisch betätigen, was ich grundsätzlich sehr gut finde, was aber zu einer Schwammigkeit des Künstlerbegriffes führt, möchte ich diesen Text als Verdeutlichung meiner eigenen Haltung nutzen.

Gottfried Bammes (1920-2007) war ein deutscher Künstler und Anatom, der viele Jahre als Professor für Künstleranatomie an der Hochschule für bildende Künste in Dresden lehrte. Er schrieb verschiedene Standardwerke der Künstleranatomie.

„Von künstlerischer Originalität und Grundlagenvermittlung“

Die häufig angezweifelte Notwendigkeit der Erarbeitung von Sachkenntnissen im Bereich künstlerischer und kunstpädagogischer Erziehung und Ausbildung, der so entstehende Riß in der Einheit von Theorie und Praxis gehen nicht nur den Lehrer an. Beides wirkt sich vor allem dort aus, wo künstlerisch Lernende ihre Lehre noch nicht einordnen können in ein allzu verfrühtes Kunstmachenwollen. Die Lehre der Fundamente scheint ihnen gegenwärtig oder spätestens morgen im Wege zu stehen dem ernsthaften, aber auch selbstquälerischen Bemühen, das eigene künstlerische Ingenium uns sich selbst zu entdecken.

Für die intuitiven Prozesse fürchtet man eine Überlagerung durch ausgedehnte Wissensvermittlung und wähnt dadurch Imaginationskraft und Sehempfindungen, Phantasie und Inspiration bedroht. Solche Befürchtungen wurzeln nicht zuletzt in allzu einfachen Vorstellungen vom Wesen der Institution und ihrem Tätigwerden, die dem Scheine nach wie eine Art Urüberzeugung, gleichsam aus einem Nichts, da sei, sich quasi selbst gebäre in der Isolation der innersten künstlerisch-menschlichen Bezüge; und es komme vor allem darauf an, auf den großen Augenblick zu warten, da man von unerwarteten Eingebungen überfallen und fortgerissen werde. Richtig daran ist so viel: Die Resultate der Intuition geben sich zum Teil in plötzlichen Einsichten zu erkennen; Resultate sind es, die unangemeldet hereinbrechen vermögen, was auf ihre Vorgeschichte hindeutet. Denn vorausgegangen ist eine Introspektion, eine innere Besichtigung, Selbstbeobachtung, Selbstschau des Künstler. Vorausgegangen sind aber auch Fremdbeobachtungen, Beobachtungen von Dingen, Sachen, Sachverhalten, Menschen, Geschehnisse, die außerhalb des Individuums liegen. Ihr Erkenntnisgewinn besteht in unmittelbarer Informationsauswertung. Ausgewertet werden kann aber nur, was als Mitteilung, Aufklärung, Belehrung einmal verfügbar war, was einverleibt werden konnte. Beides, Selbstbeobachtung und Fremdbeobachtung, schöpft Rohstoff aus. Es ist „Sichten und Verdichten des Materiales, dessen sich die Einbildungskraft in Wissenschaft und Kunst bedient“ (Hollitscher). Majakowski hat als Dichter das in klarer Knappheit und Bildhaftigkeit ausgedrückt:

„Dichten ist dasselbe wie Radium gewinnen.

Arbeit = ein Jahr;

Ausbeute = ein Gramm.“

Das in Phantasie geborene dichterische Bild vermittelt lapidar und anschaulich die nüchterne allgemeine Tatsache, daß künstlerisches Tun schwere Arbeit ist. Im Bilde bleibend fährt Majakowski fort:

Man verbraucht,

um ein einziges Wort zu ersinnen,

Tausende Tonnen

Schutt oder Schlamm.

Doch neben dem Erz,

dem zerfallenden, fahlen

brennt

jenes Wort

ur-elemantar

es setzt in Bewegung

mit seinen Strahlen

Millionen Herzen

durch tausend Jahr.“

Die Eingebung, so will der Künstler machen, erwächst auf dem Substrat der Realität, von dem sie sich nährt. Um eines Tages mit dem durch Lernen und Lebenserfahrung angesammelten Gut ein Werk aufführen zu können, bedarf der Prozeß der Wirklichkeitsaneignung und Interpretation einer Phase, in der zunächst sich der Boden annehmend öffnet. Es ist, wie Hollitscher abmerkt, eine Vorbereitungsphase, der später die Schaffens- und Vollendungsphase folgen wird. Was sich im Innern des Künstlers anhäuft, wird in der Zeit der Reife einer kritischen Inspektion unterzogen. Was aber, wenn das zu Besichtigende dürftig, das Material einseitig oder mager wäre? Gibt der Künstler jedoch der in langen Prozessen der Inspiration wirkenden Welt- und Wirklichkeitseinatmung Raum, so wird das in einem ausgewählten Bewußtseinsprozeß als Eigentümlichkeit Verstandene unvermittelt mit fortreißen „anscheinend ohne Vorankündigung oder Vorbereitung“ (Hollitscher). Die Vorstellung von einer Urzeugung im künstlerischen Subjekt, von Eingebung und Einfall erweist sich als Phantasma. Es ist Phantasterei, die überraschende Intuition als anstrengungslos empfangene „Gabe“ zu betrachten. Bevor das „eine Gramm Radium“ gewonnen ist, muß man unermüdlich ein reiches Gut gesichtet haben.“

(Gottfried Bammes, „Sehen und Verstehen, Die menschlichen Formen in didaktischen Zeichnungen“, Volk und Wissen Volkseigener Verlag Berlin 1985, 1. Auflage, Seite 15 ff)